Überblick
Der Begriff Bandscheibenvorfall beschreibt den Zustand, wenn die Bandscheibe verletzt ist und ihr Inhalt sich vorwölbt oder in den Wirbelkanal vorsteht. Die Begriffe Bandscheibenvorfall, Bandscheibenriss, Bandscheibenvorwölbung, Bandscheibenvorwölbung und Bandscheibenextrusion stehen alle für einen Nucleus-pulposus-Vorfall (Bandscheibenvorfall), was der richtige medizinische Begriff ist. Obwohl Bandscheibenverletzungen und degenerative Veränderungen (altersbedingte Abnutzungserscheinungen) an der Hals- und an der Lendenwirbelsäule fast gleichermaßen auftreten, sind Verletzungen an der Halswirbelsäule viel seltener chirurgisch zu behandeln. Bei Patienten mit einem schweren zervikalen Nucleus-pulposus-Bruch besteht jedoch die Gefahr einer Verletzung des Rückenmarks, die sorgfältig behandelt werden muss.
Ursachen
Die häufigste Ursache für einen zervikalen Nucleus-pulposus-Vorfall ist eine allmähliche Degeneration der Bandscheibe, eine Abschwächung (Schwächung) des hinteren Anulus fibrosus und eine anschließende Protrusion des Nucleus pulposus in den Wirbelkanal, die eine Kompression der Nervenwurzel verursacht. Manchmal tritt die Bandscheibenverletzung plötzlich durch einen Unfall oder ein Trauma auf. Meistens tritt ein zervikaler Bandscheibenvorfall jedoch im Laufe der Zeit auf, und die Patienten werden erst aufmerksam, wenn die Nackenschmerzsymptome und/oder die Radikulopathie (ausstrahlende Armschmerzen, Taubheitsgefühl und/oder Schwäche) deutlich werden. Obwohl es eine umfangreiche Liste von Risikofaktoren für die Entstehung von Nackenschmerzen (und Bandscheibenproblemen) gibt, kann eine Bandscheibenverletzung bei fast jedem Menschen auftreten. Eine zervikale Bandscheibenverletzung tritt am häufigsten bei Menschen über 40 Jahren auf und betrifft Männer und Frauen gleichermaßen. Die spezifische Ursache eines zervikalen Bandscheibenvorfalls lässt sich oft feststellen, wenn jemand unmittelbar nach einem Unfall oder einer Verletzung starke Nackenschmerzen und Radikulopathie entwickelt. Die meisten Menschen mit einer Bandscheibenverletzung können sich jedoch nicht an ein bestimmtes Ereignis erinnern, das ihre Schmerzen ausgelöst hat, und die tatsächliche Ursache ist unbestimmt. Menschen, die schwere Arbeit verrichten (und die richtigen Hebetechniken anwenden) oder Sport treiben, haben fast die gleiche Verletzungsrate wie Menschen, die dies nicht tun.
Symptome
Patienten können sich mit isolierten Nacken- oder Armschmerzen vorstellen, aber in der Regel sind es beide, wenn die Bandscheibenverletzung erheblich ist. Die Radikulopathie (Armschmerzen, Taubheitsgefühl und/oder Schwäche) tritt typischerweise nur in einem Arm auf, gelegentlich aber auch in beiden. Die Armsymptome können sich als einschießende elektrische Schmerzen in der Schulter, im Arm und in der Hand und den Fingern äußern. Die radikulären Schmerzen können auch mit Taubheitsgefühlen, Kribbeln (Parästhesien) und/oder Schwäche einhergehen. Die Patienten können Schwierigkeiten haben, den Kopf zu drehen und den Nacken zu beugen, da dies die radikulären Schmerzsymptome auslösen kann. Gelegentlich haben die Patienten nur eine erhebliche Armschwäche und Taubheit, aber keine Nacken- oder Armschmerzen. In seltenen Fällen kann ein sehr großer Bandscheibenvorfall zu einer Querschnittslähmung und/oder Darm-/Blaseninkontinenz führen und gilt als chirurgischer Notfall.
Physikalische Befunde
Zu den körperlichen Befunden von Patienten mit einem zervikalen Bandscheibenvorfall gehören neben einer eingeschränkten Beweglichkeit der Halswirbelsäule häufig Empfindlichkeit und Spasmen im Nacken. Die Patienten haben im Allgemeinen stärkere Schmerzen, wenn der Nacken nach unten und zur Seite des Bandscheibenvorfalls hin gebeugt wird. Wenn die Kompression der Spinalnerven schwerwiegend ist, kann sie zu einem erheblichen Taubheitsgefühl (Gefühlsverlust) in Arm und Hand und einer Schwäche einiger Arm- und/oder Handmuskeln führen. Patienten mit lang anhaltender Nervenkompression und Muskelschwäche können eine Atrophie (Verkleinerung) des betroffenen Muskels/der betroffenen Muskeln aufweisen, was beim Vergleich mit dem anderen Arm sehr auffällig sein kann. Tiefe Sehnenreflexe können für den betroffenen Spinalnerv vermindert sein oder fehlen.
Bildgebende Untersuchungen
Ein einfaches Röntgenbild der Wirbelsäule kann einen Bandscheibenvorfall nicht zeigen, da ein Röntgenbild nur die Knochenstrukturen zeigt, nicht aber die Knorpelscheibe oder die Spinalnerven. Eine Magnetresonanztomographie (MRT) der Halswirbelsäule ist notwendig, um die Bandscheibenverletzung klar zu definieren, und ist nicht invasiv (keine Nadeln oder Farbstoffinjektion). Vor der Erfindung der MRT mussten die Patienten ein CT, ein Myelogramm oder ein CT-Myelogramm machen, um die Diagnose eines Nucleus-pulposus-Bruchs zu bestätigen. Die MRT ist heute viel einfacher durchzuführen und bietet im Allgemeinen eine bessere Darstellung der Bandscheibenverletzung. Bei einigen Patienten ist eine MRT jedoch nicht möglich, z. B. bei Patienten mit einem Herzschrittmacher, und sie müssen sich einer der anderen beschriebenen bildgebenden Untersuchungen unterziehen.
Laboruntersuchungen
Es gibt keine Laboruntersuchungen, die zur Diagnose eines zervikalen Bandscheibenvorfalls verwendet werden. Gelegentlich werden spezielle Tests angeordnet, um eine Infektion oder andere Ursachen für Nackenschmerzen und/oder Radikulopathie auszuschließen.
Spezielle Tests
Elektromyographie und Nervenleitgeschwindigkeitsuntersuchungen (EMG/NCV) sind nützlich, um festzustellen, welcher Nerv betroffen ist und wie stark er geschädigt oder gereizt ist. Mit dem Test lässt sich oft klären, wo ein Nerv tatsächlich komprimiert wird – ob im Nacken, in der Schulter, im Ellbogen oder im Handgelenk. So kann beispielsweise unterschieden werden, ob Taubheitsgefühle in Hand und Finger durch eine Bandscheibenverletzung im Nacken oder ein Karpaltunnelsyndrom (Kompression des Medianusnervs im Handgelenk) verursacht werden.
Diagnose
Die Diagnose eines zervikalen Nucleus-pulposus-Bruchs ist bei den meisten Patienten recht einfach. Sie kann kompliziert sein, wenn die Symptome oder körperlichen Befunde untypisch sind. Bei Patienten mit isolierten Nackenschmerzen kann fälschlicherweise eine einfache Nackenzerrung oder -verstauchung diagnostiziert werden. Manche Patienten klagen über isolierte Schulterschmerzen, Armschmerzen oder Taubheitsgefühle in der Hand und werden eher wegen eines Extremitätenproblems als wegen eines Nackenproblems untersucht und behandelt. Es ist wichtig, dass der Arzt eine gründliche Anamnese und klinische Untersuchung durchführt, bevor er eine Diagnose stellt, um eine Fehldiagnose zu vermeiden. Bildgebende Untersuchungen (und gelegentlich Labortests) müssen zur Klärung der Diagnose herangezogen werden.
Behandlungsmöglichkeiten
Die Behandlung eines zervikalen Bandscheibenvorfalls beginnt fast immer mit einem Versuch der konservativen Behandlung, die häufig wirksam ist. Der Hauptgrund, eine frühzeitige oder sofortige operative Behandlung in Erwägung zu ziehen, ist, wenn ein Patient eine starke Kompression des Rückenmarks durch einen großen Bandscheibenvorfall aufweist und klinische Anzeichen einer Myelopathie und/oder einer Rückenmarksverletzung zeigt. Der natürliche Verlauf eines zervikalen Bandscheibenvorfalls ist recht günstig, was bedeutet, dass sich die Mehrzahl der Patienten erholt und nicht operiert werden muss. Im Jahr 1996 veröffentlichte Saal eine Forschungsstudie, die zeigte, dass sich fast 90 % der Patienten mit einem zervikalen Bandscheibenvorfall durch eine nichtoperative Behandlung deutlich verbessern. Zu den verfügbaren konservativen Behandlungen gehören Ruhe, Eis, Wärme, chiropraktische oder physikalische Therapie, Medikamente, Halskrause oder weicher Kragen, Traktion der Halswirbelsäule und Akupunktur. Die am häufigsten verschriebenen Medikamente sind orale Entzündungshemmer und Schmerzmittel. Muskelentspannende Medikamente sollten nur bei starken Schmerzen und Muskelkrämpfen und bei älteren Patienten nur für kurze Zeit eingesetzt werden. Medikamentenbedingte Komplikationen treten bei älteren Menschen häufiger auf, und alle Medikamente sollten vom verschreibenden Arzt genau überwacht werden. Physiotherapie und andere Maßnahmen können ebenfalls eingesetzt werden, vor allem um die Kraft, die Ausdauer und das Funktionsniveau des Patienten zu verbessern. Manipulationen und chiropraktische Anpassungen sollten mit Vorsicht eingesetzt werden und können bei Patienten mit großen Bandscheibenverletzungen kontraindiziert sein. Epidurale Steroidinjektionen und Nervenblockaden können eine kurzfristige Verbesserung der Schmerzsymptome bewirken. Wirbelsäuleninjektionen werden sofort in Erwägung gezogen bei Patienten mit starken, unerträglichen Schmerzen oder bei Patienten, die mit konservativen Behandlungen ein Plateau erreicht haben, aber weiterhin mäßige oder starke Schmerzen haben. Ein chirurgischer Eingriff wird in Betracht gezogen, wenn ein Patient mit einem zervikalen Nucleus-pulposus-Bruch weiterhin Schmerzen, Schwäche und/oder Taubheitsgefühle hat und konservative Maßnahmen versagt haben. Ziel der Operation ist es, die Kompression des Rückenmarks und/oder der Spinalnerven zu beseitigen und die Schmerzen und das Funktionsniveau des Patienten zu verbessern. Die bevorzugte chirurgische Behandlung ist eine anteriore (vorne am Hals) zervikale Diskektomie (Entfernung der Bandscheibe) und Fusion (Zusammenfügen der Wirbelknochen). Im Allgemeinen wird zusätzlich zur Dekompressionskomponente immer eine Halswirbelsäulenversteifung erforderlich und empfohlen, da bei diesem Eingriff fast die gesamte Bandscheibe entfernt wird. In der Regel wird ein kleines Knochentransplantat zwischen den beiden Wirbelsäulenknochen, an denen die Bandscheibe entfernt wurde, eingesetzt, um die normale Höhe des Bandscheibenraums wiederherzustellen und die Fusion zu fördern. Es kann auch ein Wirbelsäuleninstrumentarium (kleine Metallplatte mit Schrauben) eingesetzt werden, um eine sofortige Stabilität zu erreichen und die Fusionsrate (Knochenheilung und Zusammenwachsen) zu erhöhen. In einigen Fällen kommen Patienten für eine mikroskopische Foraminotomie im hinteren Bereich der Halswirbelsäule in Frage, die mit einer minimalinvasiven Technik durchgeführt werden kann und bei der die Knochen der Wirbelsäule nicht verschmolzen werden müssen. Dies wird in der Regel durchgeführt, wenn die Bandscheibenverletzung klein ist und die Nervenkompression in erster Linie auf eine Foramenstenose zurückzuführen ist. Unabhängig von der Operationstechnik sind die Ergebnisse im Allgemeinen hervorragend und die Erholungszeit kurz. Die Patienten haben oft eine rasche Linderung der Symptome nach der Operation und kehren innerhalb von ein bis drei Wochen zur Arbeit und zu normalen Aktivitäten zurück.
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