Reflex

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eine durch das zentrale Nervensystem vermittelte Reaktion eines Organismus nach Stimulation von Rezeptoren durch innere oder äußere Umwelteinflüsse; sie äußert sich durch das Auftreten oder die Veränderung der funktionellen Aktivität einzelner Organe oder des Körpers als Ganzes. Der aus den Naturwissenschaften übernommene Begriff „Reflex“ unterstreicht die Tatsache, dass die Nerventätigkeit „reflektiert“ wird, d. h. sie ist eine Reaktion auf Einflüsse aus der äußeren oder inneren Umgebung. Der strukturelle Mechanismus eines Reflexes ist der Reflexbogen, der Rezeptoren, einen sensorischen (afferenten) Nerv, der die Erregung von den Rezeptoren zum Gehirn oder Rückenmark leitet, ein im Gehirn und Rückenmark befindliches Nervenzentrum und einen efferenten Nerv umfasst, der die Erregung vom Gehirn oder Rückenmark zu den Effektororganen, d. h. Muskeln, Drüsen und inneren Organen, leitet. Die biologische Bedeutung der Reflexe besteht in der Regulierung der Arbeit der Organe und ihrer funktionellen Interaktionen zur Aufrechterhaltung der Stabilität des inneren Milieus des Organismus (Homöostase) bei gleichzeitiger Wahrung seiner Integrität und seiner Fähigkeit zur Anpassung an die äußere Umwelt. Die Reflexaktivität des Nervensystems gewährleistet die funktionelle Integrität des Organismus und steuert die Interaktion des Organismus mit der äußeren Umgebung, d.h. sein Verhalten.

Geschichte der Reflexforschung. Das Konzept der Reflexe wurde erstmals von dem französischen Philosophen Descartes entwickelt. Die antiken Ärzte, zum Beispiel Galen im zweiten Jahrhundert, teilten die menschlichen motorischen Handlungen in freiwillige Handlungen, die die Beteiligung des Bewusstseins an ihrer Ausführung erfordern, und unwillkürliche Handlungen, die ohne die Beteiligung des Bewusstseins ausgeführt werden. Die Lehre von Descartes über das Reflexprinzip der Nerventätigkeit basierte auf dem Mechanismus der unwillkürlichen Bewegungen. Der gesamte Prozess der Nerventätigkeit, der durch Automatismus und Unwillkürlichkeit gekennzeichnet ist, besteht in der Stimulation des Sinnesapparats und der Weiterleitung der Impulse des Apparats entlang der peripheren Nerven zum Gehirn und vom Gehirn zu den Muskeln. Als Beispiele nannte Descartes das Blinzeln als Reaktion auf das plötzliche Auftauchen eines Objekts vor den Augen und das Zurückziehen einer Gliedmaße nach der plötzlichen Einwirkung eines schmerzhaften Reizes. Er beschrieb die Impulse, die entlang der peripheren Nerven geleitet werden, mit dem Begriff „Tiergeister“, den er von den antiken Ärzten entlehnt hatte. Trotz der spirituellen Aura, die den Begriff umgibt, misst Descartes ihm eine tatsächliche und für seine Zeit völlig wissenschaftliche Bedeutung bei, die sich auf Ideen aus der Mechanik, Kinematik und Hydraulik stützt.

Die Studien von Physiologen und Anatomen des 18. Jahrhunderts wie A. von Haller und G. Prochaska befreiten die Ideen von Descartes von metaphysischer Terminologie und Mechanismus und wandten sie auf die Aktivität der inneren Organe an (es wurden mehrere für verschiedene Organe spezifische Reflexe gefunden). C. Bell und F. Magendie leisteten einen sehr wichtigen Beitrag zum Verständnis der Reflexe und des Reflexapparats, indem sie zeigten, dass die sensorischen (afferenten) Fasern in das Rückenmark als Teil der hinteren Wurzeln eintreten, während die efferenten Fasern, z. B. die motorischen, das Rückenmark als Teil der vorderen Wurzeln verlassen. Diese Entdeckung ermöglichte es M. Hall, einem britischen Arzt und Physiologen, klare Vorstellungen über den Reflexbogen zu entwickeln und die Theorie der Reflexe und des Reflexbogens umfassend klinisch zu nutzen.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lagen Informationen über gemeinsame Elemente in den Mechanismen sowohl der willkürlichen Bewegungen, die vollständig mit den Manifestationen der Hirnaktivität zusammenhängen, als auch der unwillkürlichen automatischen Reflexhandlungen vor, die der Hirnaktivität entgegengesetzt sind. In seiner Studie Brain Reflexes (1863) vertrat I. M. Sechenov die Ansicht, dass alle bewussten und unbewussten Handlungen auf Reflexen beruhen. Er begründete die Idee der universellen Bedeutung des Reflexprinzips in den Funktionen des Rückenmarks und des Gehirns sowohl für unwillkürliche als auch für willkürliche Bewegungen, die das Bewusstsein und die Gehirntätigkeit einschließen. Sechenovs Konzept ermöglichte es I. P. Pavlov, konditionierte Reflexe zu entdecken. Sechenovs Entdeckung der zentralen Hemmung ist der wichtigste Aspekt der Reflextheorie. C. Sherrington, N. E. Vvedenskii, A. A. Ukhtomskii und I. S. Beritashvili wiesen nach, dass die Reflexe einzelner Bögen koordiniert und in die funktionelle Aktivität von Organen integriert sind, die auf dem Zusammenspiel von Erregung und Hemmung in den Reflexzentren beruht.

Das Konzept der zellulären Organisation des Nervensystems spielt eine wichtige Rolle bei der Aufklärung der Mechanismen der Reflexwirkung. Der spanische Histologe S. Ramon y Cajal zeigte, dass das Neuron die strukturelle und funktionelle Einheit des Nervensystems ist. Daraus entstand das Konzept der neuronalen Organisation von Reflexbögen und begründete das Konzept der Synapse, des Apparats des interneuronalen Kontakts und der synaptischen (d.h. interneuronalen) Übertragung von Erregungs- und Hemmungsimpulsen in den Reflexbögen (Sherrington, 1906).

Klassifikation. Die Vielfalt der Reflexe führte zur Entwicklung verschiedener Klassifizierungen. Reflexe können nach der anatomischen Anordnung des zentralen Teils der Reflexbögen, die ihre Nervenzentren sind, klassifiziert werden als (1) spinal, unter Beteiligung von Neuronen, die im Rückenmark liegen, (2) bulbär, ausgeführt unter Beteiligung von Neuronen der Medulla oblongata, (3) mesenzephal, ausgeführt unter Beteiligung von Neuronen des Mittelhirns, oder (4) kortikal, ausgeführt unter Beteiligung von Neuronen der Großhirnrinde. Je nach Lage der reflexogenen Zonen oder rezeptiven Felder sind Reflexe exterozeptiv, propriozeptiv oder interozeptiv.

Reflexe können auch nach Art und Funktion der Effektoren als motorische Reflexe (der Skelettmuskulatur) – zum Beispiel Beuge-, Streck-, Bewegungs- und statokinetische Reflexe – oder als autonome Reflexe der inneren Organe – Verdauung, Herz-Kreislauf, Ausscheidung und Sekretion – klassifiziert werden. Je nach Komplexität der neuronalen Organisation der Reflexbögen lassen sie sich in monosynaptische Reflexe, deren Bögen aus einem afferenten und einem efferenten Neuron bestehen, wie z. B. der Patellareflex, oder in multisynaptische Reflexe, deren Bögen auch ein oder mehrere Interneurone enthalten, wie z. B. der Beugemuskelreflex, unterteilen. In Bezug auf ihren Einfluss auf die Effektoraktivität können Reflexe erregend sein, d. h. eine Effektoraktivität hervorrufen oder verstärken (erleichtern), oder hemmend, d. h. eine solche Aktivität abschwächen und unterdrücken, z. B. die reflexartige Beschleunigung des Herzschlags durch den Sympathikusnerv und die Verlangsamung oder Beendigung des Herzschlags durch den Vagusnerv.

Reflexe können auch nach ihrer biologischen Bedeutung für den Gesamtorganismus eingeteilt werden, z.B. die Abwehr- (oder Schutz-), Sexual- und Orientierungsreflexe.

Pavlov begründete die Unterteilung aller Reflexe nach Ursprung, Mechanismus und biologischer Bedeutung in unkonditionierte und konditionierte Reflexe. Erstere sind erblich festgelegt und artspezifisch, was die Konstanz der Reflexverbindung zwischen den afferenten und efferenten Elementen ihrer Bögen bestimmt. Konditionierte Reflexe werden im Laufe des Lebens eines Individuums als Ergebnis einer vorübergehenden Verbindung (konditionierte Schließung) zwischen den verschiedenen afferenten und efferenten Apparaten des Organismus erworben. Da eine konditionierte temporäre Verbindung bei höheren Tieren (Wirbeltieren) unter notwendiger Beteiligung der Großhirnrinde gebildet wird, werden konditionierte Reflexe auch als kortikale Reflexe bezeichnet.

Die biologische Funktion der unkonditionierten Reflexe besteht in der Regulierung der Homöostase und in der Erhaltung der Integrität des Organismus, während die Funktion der konditionierten Reflexe darin besteht, eine möglichst feinfühlige Anpassung an sich verändernde äußere Bedingungen zu gewährleisten.

Der Begriff „Reflex“ wird auch auf andere Reaktionen angewandt, obwohl das zentrale Nervensystem nicht beteiligt ist, zum Beispiel auf Axonreflexe und lokale Reflexe, die vom peripheren Nervensystem ausgeführt werden.

Mechanismus und Eigenschaften. Reflexe werden normalerweise durch Stimulierung der entsprechenden reflexogenen Zonen durch äußere oder innere Reize ausgelöst, d. h. durch adäquate Stimulierung der Rezeptoren in diesen Zonen. Die in den Rezeptoren entstehende Erregung – die Entladung von Impulsen – wird über afferente Nervenleitungen zum Gehirn oder Rückenmark geleitet, wo sie von einem afferenten Neuron entweder direkt an ein efferentes Neuron (Zwei-Neuronen-Bogen) oder über ein oder mehrere Interneuronen (Polyneuronen-Bogen) weitergeleitet wird. In den efferenten Neuronen wird die Erregung durch efferente Nervenfasern in umgekehrter Richtung – vom Gehirn oder Rückenmark zu den verschiedenen peripheren Organen (Effektoren), z. B. Skelettmuskeln, Drüsen und Blutgefäßen – weitergeleitet, und es wird eine Reflexantwort ausgelöst, d. h. es kommt zu einer Veränderung der funktionellen Aktivität.

Die Reflexantwort erfolgt immer zeitlich versetzt zum Beginn der Stimulation der Rezeptoren. Diese Verzögerungszeit wird als Latenzzeit bezeichnet. Sie variiert je nach Komplexität des Reflexes von einer Millisekunde bis zu mehreren Sekunden.

Die Erregung wird in den Reflexbögen in eine Richtung geleitet, vom afferenten zum efferenten Neuron – niemals in die entgegengesetzte Richtung. Diese Eigenschaft der Reflexleitung ist auf den chemischen Mechanismus der interneuronalen synaptischen Übertragung zurückzuführen, der im Wesentlichen in der Bildung und Freisetzung spezifischer chemischer Mediatoren durch die Nervenendigungen besteht, zum Beispiel Acetylcholin und Epinephrin, die die Neuronen erregen oder hemmen, mit denen die jeweiligen Endungen synaptische Kontakte bilden.

Die Eigenschaften der Reflexe – Intensität, Dauer und Dynamik – werden sowohl durch die Bedingungen der Stimulation (Angemessenheit, Kraft, Dauer, Ort) als auch durch den Funktionszustand (Hintergrund) des Reflexapparates selbst (Erregbarkeit, Impulse von anderen Nervenzentren, Ermüdung) und andere interne Faktoren bestimmt.

Integration und Koordination. Reflexe treten nicht isoliert auf. Sie werden zu komplexen Reflexhandlungen mit eindeutiger funktioneller und biologischer Bedeutung kombiniert (integriert). So ist zum Beispiel die sehr einfache Reflexantwort einer Extremität auf Schmerz – der Beugungsreflex (Beugen und Zurückziehen einer Extremität) – eine komplexe Multikomponentenaktion, die die unwillkürliche Kontraktion einiger Muskeln, die Hemmung anderer und Veränderungen der Atem- und Herztätigkeit umfasst. Die Organisation von Reflexen, die das Verhalten steuern, wie z. B. Orientierungs-, Nahrungssuche-, Verteidigungs- und Sexualreflexe, ist noch komplexer. Solche Reflexe umfassen Elemente, die in gewissem Maße alle Organe einbeziehen.

Die Prozesse, die für die Integration von Reflexen verantwortlich sind, werden mit dem Begriff „Koordination“ bezeichnet. Koordination bedeutet im Wesentlichen die Kombination von Erregung und Hemmung im System der Neuronen, die an der Bildung von Reflexen unterschiedlicher Komplexität beteiligt sind. Die intime Natur der Mechanismen dieser Interaktionen wird insbesondere durch die Technik der intrazellulären Aufzeichnung der elektrischen Reaktionen der Neuronen mit Mikroelektroden untersucht, wenn die Reflexe durch Stimulation der Rezeptoren oder afferenten Nerven ausgelöst werden. Der synaptische Apparat der Neuronen, der zwischen einigen hundert und 5.000 oder 6.000 synaptische Kontakte pro Neuron enthält, hat sowohl erregende als auch hemmende Synapsen. Wenn die ersteren durch den Einstrom von Impulsen aktiv sind, entsteht im Neuron eine negative elektrische Reaktion, die die Entladung anderer Impulse anregt. Wenn letztere aktiv sind, kommt es zu einer positiven elektrischen Reaktion, die die Übertragung von Erregungen im Neuron hemmt oder blockiert. Die quantitativen Beziehungen der Aktivierung der Synapsen (Anzahl und Intensität) bestimmen die Bedeutung und das Ausmaß der Beteiligung der Neuronen des Reflexzentrums an der Ausführung eines bestimmten Reflexes.

Der Koordinationsprozess, der Reflexe unterschiedlicher Komplexität integriert, kann als eine Verteilung von Erregung und Hemmung in den an der Ausführung dieser Reaktionen beteiligten neuronalen Systemen gemäß einem bestimmten räumlichen und zeitlichen Programm, das diesen Reaktionen entspricht, betrachtet werden. Die biologische Kybernetik untersucht die Faktoren, die zu Prinzipien der Gestaltung dieser Programme führen. Durch den Rückkopplungsmechanismus wird ein hohes Maß an Koordination der Bewegungen erreicht. Die breite Konvergenz in den interneuronalen Beziehungen, die durch Hunderte und Tausende von synaptischen Kontakten von Neuronen mit anderen Neuronen, die unterschiedliche funktionelle Aufgaben erfüllen, gekennzeichnet ist, ist die Grundlage für die Annahme, dass die Mechanismen der Reflexhandlung auf einem stochastischen (probabilistischen) Prinzip beruhen und nicht auf einer statischen, vorbestimmten Organisation der Reflexbögen.

P. A. KISELEV

Pathologische Reflexe. Es werden zwei Arten von pathologischen Reflexen unterschieden. Der erste Typ umfasst Reflexe, die bei Erwachsenen ungewöhnlich sind (sie sind manchmal für frühere Stadien der Phylogenese oder Ontogenese charakteristisch) und die sich nach strukturellen oder funktionellen Verletzungen verschiedener Teile des zentralen Nervensystems manifestieren. Sie werden bei der Diagnose von neurologischen Erkrankungen eingesetzt (z. B. Babinski-Reflex und pathologischer Saugreflex). Der Zustand, in dem die Reflexe schwach ausgeprägt sind oder fehlen, wird als Hyporeflexie bzw. Areflexie bezeichnet. Sind die Reflexe übertrieben oder ungleichmäßig, spricht man von Hyperreflexie bzw. Anisoreflexie.

Die zweite Art von pathologischem Reflex umfasst inadäquate und aus biologischer Sicht unangemessene Reaktionen auf einen, meist überstarken, inneren oder äußeren Reiz.

Man unterscheidet zwischen pathologischen unkonditionierten und konditionierten Reflexen. Zu den ersteren gehören der pulmonokoronare Reflex (Herzstillstand nach Reizung eines Teils der Tunica intima der Lungenarterie durch einen Fremdkörper), der renoreale Reflex (Spasmus eines Harnleiters nach Reizung des anderen durch einen Konkrement) und der hepatokoronare Reflex (Spasmus der Herzkranzgefäße während eines Anfalls von Leberkolik). Der entscheidende Faktor bei der Bildung pathologischer unkonditionierter Reflexe ist die Parabiose, ein Phänomen, das sich in Nervenstrukturen infolge überstarker Stimulation entwickelt und, wie von N. E. Vvedenskii (1901) und I. P. Razenkov (1923-24) gezeigt haben, für den paradoxen Charakter der Reaktionen verantwortlich ist.

Pathologische konditionierte Reflexe werden durch Reize ausgelöst, die von Natur aus für den Körper indifferent sind, aber vorher mit überstarken unkonditionierten Reizen kombiniert werden. So kann beispielsweise der Koronarspasmus, der beim Besteigen eines Berges bei windigem Wetter auftritt (Stress-Stenokardie), erneut auftreten, wenn der Patient bei schönem Wetter lediglich vom Berg absteigt. Pathologische konditionierte Reflexe unterscheiden sich von gewöhnlichen (physiologischen) konditionierten Reflexen dadurch, dass sie nach einer einzigen Kombination von Reizen gebildet werden und lange Zeit ohne Verstärkung bestehen bleiben. Pathologische Reflexe können einigen inneren Krankheiten zugrunde liegen.

V. A. FROLOV

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