Was versteht man in den Sozialwissenschaften unter „Messinstrumenten“?
Die empirische Sozialwissenschaft stützt sich auf Daten, zum Beispiel Selbstberichte. Diese Art von Daten wird mit Hilfe von Messinstrumenten bewertet, die die Realität oder den sogenannten „wahren Wert“ widerspiegeln sollen. Je besser ein Instrument ist, desto besser bildet es die Realität ab. Um glaubwürdige Daten und Ergebnisse in den empirischen Sozialwissenschaften zu erhalten, müssen wir uns auf qualitativ hochwertige Messinstrumente stützen.
Was sind Beispiele für soziale Erhebungen für die Allgemeinbevölkerung?
Es gibt zahlreiche nationale und internationale vergleichende Erhebungen, und sie alle zielen darauf ab, ihre Zielgruppen bestmöglich zu repräsentieren. Einige Erhebungen konzentrieren sich auf bestimmte Zielgruppen – zum Beispiel Einwanderer, Arbeitnehmer usw. – andere sind soziale Erhebungen für die allgemeine Bevölkerung.
Typische und gut beachtete Umfragen sind politische Umfragen, die zur Vorhersage eines Wahlergebnisses verwendet werden. Auch PISA (Program for International Student Assessment), die von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) durchgeführte Erhebung über die Fähigkeiten von Schülern, ist sehr bekannt. Wie diese beiden Beispiele zeigen, werden die Ergebnisse von Erhebungen nicht nur von Forschern, sondern auch von politischen Entscheidungsträgern genutzt, um beispielsweise das Bildungssystem eines Landes zu verbessern.
Was sind die Herausforderungen bei dieser Art von Messungen?
Phänomene wie politische Meinungen oder kognitive Fähigkeiten, die sogenannten Konstrukte, sind schwer zu erfassen und angemessen zu beschreiben, und die Messinstrumente müssen von hoher psychometrischer Qualität sein, um valide Schlüsse aus den Daten zu ziehen.
Die Teilnahme an Umfragen ist in den meisten Fällen nicht verpflichtend. Das bedeutet, dass eine Umfrage nicht zu lang, beschwerlich oder kompliziert für die Menschen sein sollte, um die Auswirkungen auf die Antwort- oder Teilnahmequote an einer Umfrage zu verringern – die meisten von uns wären eher bereit, an einem 20-minütigen Interview teilzunehmen als an einem 60-minütigen!
Außerdem sind Umfragen, die die allgemeine Bevölkerung repräsentieren, teuer. Jede Minute, die wir zu einem Interview hinzufügen, verursacht erhebliche Mehrkosten. Deshalb müssen Messinstrumente effizient sein.
Warum ist eine neue wissenschaftliche Zeitschrift auf diesem Gebiet notwendig? Worauf zielt Measurement Instruments for the Social Sciences ab?
Measurement Instruments for the Social Sciences (MISS) wurde gegründet, um die Qualität der in den Sozialwissenschaften verwendeten Messinstrumente zu verbessern. Sie tut dies auf mindestens drei Arten. Erstens wollen wir die Vergleichbarkeit von Daten über Studien hinweg und die Wiederverwendbarkeit von validierten, qualitativ hochwertigen Messinstrumenten verbessern, und die Zeitschrift ist ein Ort, an dem solche Skalen verbreitet werden. Zweitens bietet MISS eine Plattform für methodische Verbesserungen, wenn es darum geht, die Qualität von Messinstrumenten zu testen. Schließlich wollen wir mit der Gründung dieser Zeitschrift die Sichtbarkeit zuverlässiger Messinstrumente in den Sozialwissenschaften und die Betonung ihrer Validierung und Anerkennung erhöhen.
Beatrice Rammstedt ist Professorin für Psychologisches Assessment, Umfragedesign und Methodologie an der Universität Mannheim sowie Vizepräsidentin und wissenschaftliche Leiterin der Abteilung Umfrage, Design und Methodologie am GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften. Ihre Forschungsinteressen reichen von der Fragebogengestaltung und -validierung über die Erfassung nicht-kognitiver Fähigkeiten (mit besonderem Fokus auf die Big Five Persönlichkeitsdimensionen) bis hin zur Methodik kulturvergleichender Großstudien. Prof. Rammstedt ist Mitglied in mehreren Beiräten, wie z.B. dem OECD-Expertengremium zur Messung von Persönlichkeitsmerkmalen und nicht-kognitiven Fähigkeiten in PIAAC, der Beratungsgruppe „Rahmenprogramm Bildungsforschung“ und dem wissenschaftlichen Beirat der „Dekade für Alphabetisierung“ – beide initiiert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Sie ist Autorin oder Co-Autorin von mehr als 100 in der Fachwelt viel beachteten Publikationen (>4500 Zitate).
Nach dem Studium der Psychologie an den Universitäten Trier und Heidelberg (1997-2003) promovierte Dr. Matthias Bluemke 2006 zum Thema „Chancen und Risiken der psychologischen Diagnostik mit impliziten Assoziationstests (IAT)“. Danach lehrte und forschte er am Lehrstuhl für Sozialpsychologie in Heidelberg, mit Ausnahme von zwei Jahren (2010-2012), in denen er mit einem DFG-Postdoc-Stipendium als Gastwissenschaftler an der University of Otago, Dunedin, in Neuseeland (Social Cognition Lab) arbeitete. Berufsbegleitend studierte er Medizinische Biometrie/Biostatistik an der Universität Heidelberg (2014-2017), wo er seinen Master of Science erwarb. Seit 2016 arbeitet er bei GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften, in der Abteilung Survey Design & Methodology (SDM). Derzeit ist er Mitglied und stellvertretender Leiter des Teams Skalenentwicklung und Dokumentation (SDD) mit den Schwerpunkten Instrumentenentwicklung und Methodenberatung.