Der Meeresspiegel scheint ein ziemlich einfaches Konzept zu sein, oder? Man misst einfach den durchschnittlichen Wasserstand der Ozeane und das war’s. Aber was ist mit Teilen der Erde, wo es keine Ozeane gibt? Wenn wir zum Beispiel sagen, dass der Mount Everest 8.850 Meter über dem Meeresspiegel liegt, woher wissen wir dann, wie hoch der Meeresspiegel unter dem Mount Everest ist, da es über Hunderte von Kilometern kein Meer gibt? Wäre die Erde flach, dann wäre alles ganz einfach. Wir würden einfach eine gerade Linie durch die durchschnittliche Höhe der Ozeane ziehen und hätten es damit getan. Aber die Erde ist nicht flach.
Wäre die Erde kugelförmig, wäre es auch einfach, denn wir könnten einfach die durchschnittliche Entfernung vom Mittelpunkt der Erde zur Oberfläche des Ozeans messen. Aber die Erde ist nicht kugelförmig. Sie dreht sich. Daher werden Teile, die sich näher am Äquator befinden, durch die Zentrifugalwirkung herausgeschleudert, und die Pole werden ein wenig eingequetscht. Tatsächlich ist die Erde so unkugelförmig, dass sie am Äquator 42 Kilometer breiter ist als von Pol zu Pol. Das heißt, wenn man die Erde für eine Kugel hielte und den Meeresspiegel dadurch definieren würde, dass man auf dem Meereis am Nordpol steht, dann läge die Meeresoberfläche am Äquator 21 Kilometer über dem Meeresspiegel.
Diese Ausbuchtung ist auch der Grund, warum der Vulkan Chimborazo in Ecuador und nicht der Mount Everest der am weitesten vom Erdmittelpunkt entfernte Gipfel ist. Woher wissen wir also, wie hoch der Meeresspiegel ist? Nun, Wasser wird durch die Schwerkraft auf der Erde gehalten. Wir könnten also die Erde als eine abgeflachte und gestreckte rotierende Kugel modellieren und dann berechnen, auf welche Höhe die Ozeane sinken würden, wenn sie von der Schwerkraft auf die Oberfläche dieses Ellipsoids gezogen würden. Allerdings hat das Erdinnere nicht überall die gleiche Dichte, was bedeutet, dass die Schwerkraft an verschiedenen Punkten des Globus etwas stärker oder schwächer ist. Und die Ozeane neigen dazu, in der Nähe der dichten Stellen mehr zu pfützen.
Das sind auch keine kleinen Veränderungen. Der Meeresspiegel kann um bis zu 100 Meter von einem gleichmäßigen Ellipsoid abweichen, je nach der Dichte der Erde unter ihm. Und dann gibt es da noch diese lästigen Dinger, die Kontinente, die sich auf der Erdoberfläche bewegen. Diese dichten Gesteinsbrocken ragen aus dem Ellipsoid heraus, und ihre Masse zieht die Ozeane gravitativ an. In den Tälern des Meeresbodens ist die Masse geringer und die Ozeane fließen flacher ab. Und das ist das eigentliche Rätsel. Denn allein das Vorhandensein eines Berges und des Kontinents, auf dem er sich befindet, verändert den Meeresspiegel. Die Anziehungskraft des Landes zieht mehr Wasser an und hebt das Meer um es herum an.
Um die Höhe eines Berges über dem Meeresspiegel zu bestimmen, sollte man also die Höhe des Meeres heranziehen, die das Meer hätte, wenn es den Berg gar nicht gäbe, oder die Höhe des Meeres, die das Meer hätte, wenn es den Berg nicht gäbe, aber seine Schwerkraft? Die Leute, die sich um solche Dinge kümmern, die Geodäten, haben entschieden, dass wir den Meeresspiegel tatsächlich anhand der Schwerkraft definieren sollten. Also machten sie sich daran, ein unglaublich detailliertes Modell des Gravitationsfeldes der Erde zu erstellen, das sie kreativerweise „Earth Gravitational Model“ nannten. Es ist in modernen GPS-Empfängern enthalten. Sie zeigen Ihnen also nicht an, dass Sie sich 100 Meter unter dem Meeresspiegel befinden, obwohl Sie in Wirklichkeit am Strand von Sri Lanka sitzen, wo die Schwerkraft schwach ist.
Und das Modell hat es den Geodäten selbst ermöglicht, den durchschnittlichen Meeresspiegel überall auf der Erde auf einen Meter genau vorherzusagen. Deshalb verwenden wir es auch, um zu bestimmen, wie hoch der Meeresspiegel unter Bergen wäre, wenn es sie nicht gäbe, wohl aber ihre Schwerkraft.