Watson mag die genetische Vererbung von Traumata herunterspielen. Aber wenn seine Behauptung, dass die Handlungen und Meinungen der Eltern die Richtung des Kindes vorgeben, letztlich ganz anders ausfallen würde?
Watsons kühne Überzeugungen haben die Theorie des sozialen Lernens des Psychologen Albert Bandura beeinflusst. In den 1960er Jahren stellte Bandura die These auf, dass soziales Verhalten zu einem großen Teil durch Beobachtung erworben wird. In einer Reihe berühmt gewordener Experimente, die 1961 und 1963 durchgeführt wurden, setzte Bandura Kinder in ein Spielzimmer voller Spielzeug, während auf der anderen Seite des Raumes ein erwachsenes Modell saß. In einer Gruppe verhielt sich das erwachsene Modell aggressiv gegenüber einer aufblasbaren Bobo-Puppe, schlug sie mit einem Hammer und beschimpfte sie. In der anderen Gruppe spielte das erwachsene Modell friedlich mit der Puppe. Als die Kinder dann in einen separaten Raum gebracht wurden und mit ihrer eigenen Bobo-Puppe spielen durften, waren diejenigen, die dem gewalttätigen Modell ausgesetzt gewesen waren, mit größerer Wahrscheinlichkeit körperlich und verbal aggressiv.
Kinder, die gewalttätiges Verhalten bei erwachsenen Modellen beobachteten, zeigten mit weitaus größerer Wahrscheinlichkeit selbst gewalttätiges Verhalten, wobei Folgeexperimente zeigten, dass dieses gewalttätige Verhalten oft über Monate hinweg anhielt.7
Wir Menschen wachsen und leben im Schatten unserer Eltern und unserer Erziehung – besonders wenn es um Traumata und Tragödien geht.
Auf den ersten Blick stehen die Prinzipien der Aufklärung in direktem Gegensatz zu denen der griechischen Tragödie. Jean-Jacques Rousseau sagte, dass „alles gut ist, wenn es die Hände des Urhebers der Dinge verlässt; alles entartet in den Händen des Menschen“. Wie andere Denker der Aufklärung glaubte er, dass die Natur des Menschen rein und unverdorben sei und dass es die Gesellschaft und andere Menschen seien, die sie verdarben. In ganz Europa setzten sich in jenem „langen 18. Jahrhundert“ Philosophen wie Voltaire, Thomas Paine und Adam Smith für Vernunft und Selbstbestimmung ein, statt für das, was sie für die Vulgaritäten der alten Welt hielten: religiöse Orthodoxie, Aberglaube und heilige Kriege. Sie vertraten ein Ideal der Selbstverbesserung, der Rationalität und des freien Willens, den sie gewissenhaft einsetzten. Durch die Brille der Aufklärung wurde die Menschheit von der Vergangenheit befreit.
Die Protagonisten der großen griechischen Tragödien hingegen sind Gefangene des Schicksals, die gezwungen sind, Erbflüche und Traumata der Vorfahren auszuspielen. Ihr Leben ist alles andere als eine Manifestation des freien Willens und der Selbstbestimmtheit. Und selbst wenn ein Held den Anschein erweckt, selbstbestimmt zu handeln – Sophokles‘ Ödipus ist das perfekte Beispiel dafür -, dann nur, um letztlich seine Ohnmacht zu offenbaren, oder, wie Christopher Rocco es nennt, „all die Zweideutigkeiten und Ironien der Aufklärung selbst“.8 Je weiter Ödipus seine Willenskraft ausdehnt, desto härter wird sie auf sein vorbestimmtes Schicksal zurückgeworfen. Es ist nicht so, dass den griechischen Tragödienschreibern der freie Wille und die Selbstverwirklichung fremd waren. Sie wussten nur, dass die Eigenschaften, die schließlich von der Aufklärung verherrlicht wurden, nicht einseitig akzeptiert werden konnten; es waren immer andere Kräfte am Werk.
In seinem 1999 erschienenen Essay „Ancestral Curses“ (Flüche der Vorfahren) beklagt der Altertumswissenschaftler Martin West die Tendenz anderer Kritiker, sich auf den Begriff des vererbten Fluchs zu beziehen, „wenn das, was sie meinen, vererbte Schuld oder eine Art genetische Korruption oder anhaltende, aber unerklärliche Widrigkeiten sind.“ Ahnenflüche, genetische Verderbnis. Die Verquickung ist aufschlussreich: Wenn man beide Begriffe genau betrachtet, verschwimmt die Grenze zwischen ihnen. Es sind die geladenen Konnotationen des Wortes „Fluch“ – übernatürlich, okkult, volkstümlich – die uns verwirren.
Wenn wir unter einem Fluch nicht mehr oder weniger verstehen als die Doppelhelix, die sich durch unsere Chromosomen schlängelt, oder die harten Lektionen des Behaviorismus, wie sehr hat sich dann unser Verständnis von Schicksal in zweieinhalb Jahrtausenden wirklich verändert?
Mike Mariani ist Schriftsteller und Pädagoge und lebt in Hoboken, NJ. Seine Arbeiten sind u. a. in The Atlantic, Newsweek, Pacific Standard und The Guardian erschienen. Sie können ihm unter @mikesmariani folgen.
1. Gagné, R. Ancestral Fault in Ancient Greece Cambridge University Press, New York, NY (2014).
2. Hughes, V. Epigenetics: the sins of the father. Nature 507, 22-24 (2014).
3. Champagne, F.A., et al. Maternal care associated with methylation of the estrogen receptor -α1b promoter and estrogen receptor-α expression in the medial preoptic area of female offspring. Endocrinology 147, 2909-2915 (2006).
4. Moore, M.S. Can PTSD become hereditary? Pacific Standard (2011).
6. Burt, S.A. Gibt es bedeutsame ätiologische Unterschiede innerhalb antisozialen Verhaltens? Results of a meta-analysis. Clinical Psychology Review 29, 163-178 (2009).
7. Nolen, J.L. Bobo doll experiment. Encyclopaedia Britannica.
8. Rocco, C. Tragedy and Enlightenment: Athenian Political Thought and the Dilemmas of Modernity University of California Press, Berkeley, CA (1997).