Pupillen mit vertikalem Schlitz
Betrachten Sie einen Betrachter, der einen Punkt in der Entfernung z0 fixiert und fokussiert. Ein weiterer Punkt in der Entfernung z1 erzeugt ein unscharfes Bild. Der Durchmesser des Unschärfekreises auf der Netzhaut für diesen Punkt ist:(1)wobei A der Durchmesser der Pupillenöffnung und s0 der Abstand zwischen der Öffnung und der Netzhaut ist (12). Bei Verwendung der Kleinwinkel-Approximation entfällt der Term s0 für die Augenlänge, so dass sich der Durchmesser des Unschärfekreises in Radiant ergibt:(2)wobei ΔD die Differenz zwischen den Abständen z0 und z1 in Dioptrien ist (12). Die Unschärfe ist also proportional zum Blendendurchmesser und zur Differenz in Dioptrien zwischen der Brennweite des Auges und dem interessierenden Punkt. Diese Gleichungen berücksichtigen die geometrische Unschärfe aufgrund der Defokussierung und nicht die Unschärfe aufgrund der Aberrationen des Auges einschließlich der Beugung (13). Die Einbeziehung von Aberrationen führt zu mehr Unschärfe, aber nur für Objektentfernungen bei oder sehr nahe an der Brennweite, d. h. wenn ΔD ≈ 0 (14). Wir interessieren uns vor allem für die Unschärfe, die durch signifikante Defokussierung verursacht wird, und ignorieren daher im Folgenden Aberrationen.
Betrachten wir nun eine längliche Pupille mit vertikaler Ausdehnung Av und horizontaler Ausdehnung Ah. Wenn das Auge bei z0 fokussiert ist, werden die Netzhautbilder der Konturen bei z1 je nach ihrer Ausrichtung unterschiedlich unscharf. Zum Beispiel wird die Unschärfe der vertikalen und horizontalen Schenkel eines Kreuzes (Abb. 2B) durch Ah bzw. Av bestimmt:(3)(4)Augen mit vertikal geschlitzten Pupillen haben also eine astigmatische Schärfentiefe: größer (d.h. weniger Unschärfe aufgrund von Defokussierung) für vertikale als für horizontale Konturen. Objekte vor und hinter dem Brennpunkt des Auges sind unterschiedlich unscharf, so dass die Netzhautbilder von horizontalen Konturen unschärfer sind als die Bilder von vertikalen (Abb. 2A). Abbildung 2B zeigt, dass die Gleichungen eine gute Annäherung an die Bildunschärfe für verschiedene Pupillenausrichtungen und Defokussierungen liefern (d. h., dass Beugung und andere Aberrationen nur einen geringen Beitrag zur Bildqualität leisten, wenn das Auge defokussiert ist). Abbildung 2C zeigt die astigmatische Schärfentiefe für eine natürliche Szene (siehe Film S1 für weitere Details; beachten Sie, dass dieses Phänomen nicht dasselbe ist wie Astigmatismus, eine häufige Ursache für Defokussierung bei Augen).
Aus Abb. 1 geht hervor, dass vertikal verlängerte Pupillen bei Raubtieren aus dem Hinterhalt viel häufiger sind als bei anderen Arten. Diese Tiere müssen die Entfernung zur potenziellen Beute genau einschätzen. Drei Tiefeninformationen, die alle auf Triangulation beruhen, können im Prinzip die erforderliche metrische Entfernungsschätzung liefern: (i) Stereopsis (binokulare Disparität, die durch zwei Aussichtspunkte entsteht), (ii) Bewegungsparallaxe (Bildunterschiede, die durch die Bewegung des Aussichtspunkts entstehen) und (iii) Defokusunschärfe (Unterschiede, die durch die Projektion durch verschiedene Teile der Pupille entstehen) (12, 15). Raubtiere, die sich aus dem Hinterhalt nähern, können die Bewegungsparallaxe nicht nutzen, da Kopfbewegungen ihre Position für potenzielle Beutetiere verraten würden. Sie müssen sich auf Stereopsis und Defokusunschärfe verlassen. Die horizontale Disparität, das primäre Tiefensignal bei der Stereopsie, ist proportional zum Augenabstand (I) und der Differenz des dioptrischen Abstands zwischen dem Fixationspunkt und einem interessierenden Punkt (ΔD):(5)wobei die Disparität δ in Radiant angegeben ist (12). Nach Gl. 2 ist die Unschärfe auch proportional zur dioptrischen Entfernungsdifferenz zwischen dem fixierten (und vermutlich fokussierten) Punkt und einem interessierenden Punkt sowie zur Größe der Blende (A). Die kleinsten Tiefenintervalle ΔDt, die anhand von Disparität und Unschärfe genau bestimmt werden können, sind:(6)wobei δcrit und βcrit die kleinsten unterscheidbaren Änderungen der Disparität bzw. der Unschärfe sind (16). Wenn also die Basislinie für die Triangulation (I oder A) steigt, sollte auch die Genauigkeit der Tiefenschätzung zunehmen. Stereopsis wurde klassischerweise als relativer Entfernungshinweis betrachtet, doch wird heute davon ausgegangen, dass sie nur bei großen Entfernungen absolute Entfernungsinformationen liefert (17). In ähnlicher Weise kann die Unschärfe absolute Entfernungsinformationen liefern, sofern die Fixationsentfernung (und damit die Akkommodationsentfernung) bekannt ist, die anhand der Vergenz der Augen geschätzt werden kann (18).
Um Stereopsis zu nutzen, müssen diese Tiere bestimmen, welches Merkmal in einem Auge mit einem bestimmten Merkmal im anderen Auge übereinstimmen sollte. Horizontale Verschiebungen lassen sich leichter mit vertikalen als mit horizontalen Konturen messen, so dass die Stereopsis verständlicherweise bei Konturen, die annähernd vertikal sind, am genauesten ist (19, 20). Dies ist wahrscheinlich der Grund, warum binokulare kortikale Neuronen, die das zentrale Gesichtsfeld versorgen, eine vertikale Ausrichtung bevorzugen (21, 22). Unschärfe verringert die Präzision der Stereopsis (23). Die vertikal geschlitzte Pupille richtet die Orientierung der größeren Schärfentiefe (d. h. weniger Unschärfe) an den vertikalen Konturen der potenziellen Beute aus. Dies ist für frontal blickende Raubtiere aus dem Hinterhalt von Vorteil, da es die Stereopsis erleichtert und gleichzeitig große Veränderungen der Pupillenfläche zulässt, wodurch die Lichtmenge, die auf die Netzhaut trifft, effektiv gesteuert werden kann (1, 2).
Horizontale Konturen sind für Landtiere alltäglich. Beim Blick auf den Boden werden die Netzhautbilder vertikal verkürzt, so dass horizontale oder nahezu horizontale Konturen in diesen Bildern häufiger vorkommen (24). Eine vertikal verlängerte Pupille sorgt für eine kurze Schärfentiefe für Horizontale und unterstützt somit die Verwendung der Defokusunschärfe zur Abschätzung von Entfernungen horizontaler Konturen entlang des Bodens (Gl. 6), wodurch nützliche Tiefeninformationen für Konturausrichtungen bereitgestellt werden, die für die Stereopsis problematisch sind.
Wir kommen zu dem Schluss, dass die vertikal verlängerte Pupille eine clevere Anpassung ist, die die Stereopsis für die Abschätzung von Entfernungen von Objekten, die auf dem Boden sitzen, erleichtert und gleichzeitig die Abschätzung von Entfernungen entlang des Bodens durch die Tiefenunschärfe ermöglicht. Die horizontale Basislinie für die Disparitätstiefe wird durch den Augenabstand bestimmt und ist von der Ausrichtung der Pupille unbeeinflusst. Die vertikal geschlitzte Pupille ermöglicht eine relativ große vertikale Basislinie für die Unschärfentiefe. Somit erleichtert diese Anordnung von horizontal getrennten Augen und vertikal verlängerten Pupillen die Tiefenschätzung für Konturen jeglicher Orientierung. Wären die Pupillen stattdessen horizontal verlängert, würde die Fähigkeit, Entfernungen sowohl von vertikalen als auch von horizontalen Konturen abzuschätzen, leiden. Daher nutzen viele frontaläugige Raubtiere aus dem Hinterhalt Disparität und Unschärfe auf komplementäre Weise, um dreidimensionale Strukturen wahrzunehmen, ähnlich wie der Mensch (16).
Die Hypothese des vertikalen Schlitzes sagt voraus, dass die Augenhöhe bei frontaläugigen Raubtieren aus dem Hinterhalt die Wahrscheinlichkeit einer vertikal verlängerten Pupille beeinflussen könnte. In Abb. 3A fixieren zwei Betrachter mit unterschiedlichen Augenhöhen Punkte auf dem Boden. Die Augen sind auf die Entfernung z0 fokussiert, die bei Katzen näher liegt als bei Menschen. Strahlen oberhalb und unterhalb der Fixationsachse schneiden den Boden im Abstand z1+ bzw. z1- (rot und grün). Die Entfernungsunterschiede (in Dioptrien) zwischen der Fixationsachse und den Achsen oberhalb und unterhalb der Fixation sind in Abb. 3B aufgetragen. Unterschiedliche Kurven entsprechen unterschiedlichen Augenhöhen. Außer in Fußnähe hat die Höhe der Fixationsachse im Wesentlichen keinen Einfluss auf die Sehleistung des Betrachters. Somit ist die Höhe des Auges über dem Boden die Hauptdeterminante des dioptrischen Unterschieds für ein Auge mit fester Pupillengröße.
Abbildung 3C zeigt, wie die dioptrische Differenz mit der vertikalen Exzentrizität der Netzhaut bei verschiedenen Augenhöhen variiert. Bei kleineren Tieren, deren Augen sich nahe am Boden befinden, sind die Veränderungen auf der Netzhaut viel größer. Abbildung 3D veranschaulicht dies, indem sie zeigt, dass der Unschärfegradient viel größer ist, wenn sich die Kamera nahe an der Oberfläche befindet (unteres Feld), als wenn sie weiter entfernt ist (oberes Feld).
Wäre die Pupillengröße proportional zur Augenhöhe, würde das Defokussignal nicht zwischen kleinen und großen Tieren variieren, und die Analyse in Abb. 3 wäre ungültig. Die Augengröße (und damit auch die Pupillengröße) ist jedoch in etwa proportional zur Quadratwurzel der Augenhöhe, so dass die Analyse weiterhin gültig ist.
Wie bereits erwähnt, verwenden Raubtiere mit frontalen Augen die Stereopsis, um die Entfernung der Beute vor dem Angriff abzuschätzen. Für die Präzision benötigen sie ausreichend scharfe vertikale Konturen (20, 23). Abbildung 3 deutet darauf hin, dass die Notwendigkeit, die Unschärfe der vertikalen Konturen zu minimieren, bei kleineren Tieren größer ist, so dass der Selektionsdruck, die Pupille horizontal zu verengen, größer ist. Außerdem erzeugt der bodennahe Blickpunkt kleiner Tiere einen größeren Unschärfegradienten auf der Netzhaut, wodurch die Tiefenwahrnehmung anhand der Unschärfe ein potenziell effektiveres Mittel zur Abschätzung von Entfernungen entlang des Bodens darstellt als bei großen Tieren. Wir sagen daher voraus, dass kleinere frontaläugige Raubtiere aus dem Hinterhalt mit größerer Wahrscheinlichkeit eine vertikal geschlitzte Pupille haben als größere Tiere in dieser Nische.
Wir haben diese Vorhersage überprüft, indem wir die Beziehung zwischen der Augenhöhe dieser Tiere und der Wahrscheinlichkeit, dass sie eine vertikal verlängerte Pupille haben, untersucht haben. In der Tat gibt es bei frontaläugigen Raubtieren aus dem Hinterhalt eine auffällige Korrelation zwischen der Augenhöhe und der Wahrscheinlichkeit, eine solche Pupille zu haben. Von den 65 frontaläugigen Raubtieren aus dem Hinterhalt in unserer Datenbank haben 44 eine vertikale und 19 eine runde Pupille. Von denjenigen mit vertikalen Pupillen haben 82 % eine Schulterhöhe von weniger als 42 cm. Von denen mit kreisförmigen Pupillen sind nur 17 % kürzer als 42 cm.
Nahezu alle Vögel haben kreisförmige Pupillen (1). Der Zusammenhang zwischen Körpergröße und Pupillenform bietet eine mögliche Erklärung. Eine nahe und verkürzte Grundfläche ist kein wichtiger Teil der visuellen Umgebung von Vögeln. Die einzigen Vögel, von denen bekannt ist, dass sie eine geschlitzte Pupille haben (und diese ist vertikal verlängert), sind Scherenschnäbel. Die primäre Methode des Scherenschnabels zur Nahrungssuche besteht darin, nahe an der Wasseroberfläche zu fliegen, wobei der untere Schnabel im Wasser liegt und bei Beutekontakt zuschnappt. Der schwarze Scherenschnabel ist dämmerungs- oder nachtaktiv. Diese Nische ähnelt in gewisser Weise den Nischen, in denen sich kurze terrestrische Raubtiere aufhalten, und sie neigen dazu, vertikal geschlitzte Pupillen zu haben.
Wir stellen die Hypothese auf, dass vertikal verlängerte Pupillen bei frontal blickenden Raubtieren aus dem Hinterhalt eine komplementäre Nutzung von Disparität und Unschärfe ermöglichen, um die Entfernungen von vertikalen bzw. horizontalen Konturen zu schätzen. Einige Raubtiere, die sich aus dem Hinterhalt nähern, wie z. B. Krokodile, Alligatoren und Geckos, haben jedoch seitliche Augen und verfügen daher wahrscheinlich nicht über eine nützliche Stereopsis. Ihre Entfernungseinschätzung muss sich vermutlich auf die Defokusunschärfe verlassen. Ihre geschlitzten Pupillen wiederum ermöglichen eine bessere Kontrolle des Öffnungsbereichs und damit ein funktionelles Sehen bei Dämmerung und Helligkeit (1, 2). Aber warum ist die Verlängerung vertikal? Auch hier sorgt die Schlitzpupille für eine astigmatische Schärfentiefe, so dass vertikale Konturen, die näher und weiter entfernt sind als die Brennweite des Auges, relativ scharf bleiben. Dies ermöglicht es dem Tier, auf dem Boden stehende Objekte zur Identifizierung scharf zu sehen und erleichtert gleichzeitig die Entfernungsabschätzung anhand des Unschärfegradienten, der mit den verkürzten horizontalen Konturen im Netzhautbild des Bodens oder der Wasseroberfläche einhergeht. Die vertikale Streckung ist vorteilhafter als die horizontale Streckung, da sie die Achse der kurzen Schärfentiefe auf den Boden oder die Wasseroberfläche ausrichtet und so eine Tiefenabschätzung anhand des begleitenden Unschärfegradienten ermöglicht und die Achse der langen Schärfentiefe auf vertikale Konturen ausrichtet, die zur Objektidentifikation verwendet werden können. Viele dieser Tiere nutzen den Unschärfegradienten zur Anpassung der Akkommodation und schätzen dann die Entfernung anhand eines extraretinalen Signals, das mit der akkommodativen Reaktion verbunden ist (1).