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Bon Iver war für Justin Vernon schon immer ein Fluchtweg. Nachdem er sich in die Wälder von Wisconsin zurückgezogen hatte, um For Emma, Forever Ago aufzunehmen, zeichnete er auf Bon Iver eine surrealistische Straßenkarte der Vereinigten Staaten, die eine fantastische Welt darstellte, in der das Gelebte, das Geträumte und das Gewünschte nebeneinander existierten. Als sich dieses erfundene Land bedrückend anfühlte und die Angst, sich ihm zu stellen, zu überwältigend wurde, zog sich Vernon wieder zurück und grub sich in sich selbst ein, wobei er seine Stimme mit Maschinen pulverisierte, um 22, A Million zu schaffen, eine Platte, die die Zersplitterung des Selbst dramatisierte.

Auf i,i gibt es kein Verstecken mehr. Justin Vernon nimmt den Bon Iver-Sound und setzt ihn wie eine kubistische Collage neu zusammen, wobei seine Stimme ganz vorne steht. Alle vertrauten Elemente sind hier zu finden – impressionistische Klangschwaden, undurchdringliche und doch zarte Texte, hypnotisierende Studiotricks – und sie werden von Vernons geschmeidigem Bariton getragen, dem Instrument, mit dem er am besten umzugehen weiß. Akustikgitarre, Bläser und Klavier stehen wieder im Vordergrund, neben der nervösen Elektronik und den Synthesizern, die Vernon in letzter Zeit bevorzugt hat. Aber die Stimmung, die er mit diesen Elementen heraufbeschwört, fühlt sich neu an. Diese Songs verschlingen einen nicht mit ihrer Erhabenheit; sie blicken nach außen und lassen Raum für den Rest der Welt.

In den Texten findet Vernon Frieden im Gewöhnlichen und Alltäglichen. „I like you / And that ain’t nothing new“, singt er einfach in „iMi“. Später, in „RABi“, bemerkt er: „Nun, es ist alles nur Angst vor dem Sterben.“ Diese Dinge sind es nicht immer wert, laut ausgesprochen zu werden, aber Vernon scheint sie zu singen, um ihre Bedeutung wiederzuentdecken, und die Musik fühlt sich gleichermaßen geradlinig und suchend an. Songs wie „Marion“ und „Holyfields“ sind untypisch schmucklos, selbst im Vergleich zur For Emma- und Blood Bank-Ära, als Vernon zumindest von seinen eigenen Echos begleitet wurde. Hier klingt er völlig entblößt.

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Allerdings gibt es jede Menge geladene Gäste, die für Deckung sorgen oder zumindest ihre Gesellschaft anbieten. Unter anderem tauchen James Blake, Moses Sumney und Jenn Wasner von Wye Oak auf. Sogar Wheezy, der mit Young Thug zusammenarbeitet, ist als Komponist und Produzent vertreten. Vernon hat die Stimmen anderer auf 22, A Million gesampelt, aber in diesem Kontext fühlten sie sich eher wie Puppen an, die er animiert hat, als wie menschliche Wesen. Die Gäste auf i,i hingegen dürfen atmen. Bruce Hornsby singt vielleicht nur eine Zeile auf der Single „U (Man Like)“, aber seine Anwesenheit ist belebend. Es ist weniger einsam, Freunde in der Nähe zu haben.

Vernon selbst singt mit mehr Textur und Überzeugung als je zuvor. Er hat sich voll und ganz vom Gefäß zum Kommandanten gewandelt und steuert die Musik, anstatt in ihr zu versinken. Ein Song wie „Naeem“ ist voller Produktionsschnörkel – ein sanfter Background-Chor, schwache Samples, die Art von militärischen Trommeln, die auf Bon Ivers „Perth“ bevorzugt werden – doch all das dient dazu, den dröhnenden Klang von Vernons Stimme zu betonen, die in seiner natürlichen Bandbreite brüllt. Der Text von „Naeem“ ist schwindelerregend und an manchen Stellen nicht zu entziffern („I fall off a bass boat/And the concrete’s very slow“), aber er versteckt sich nicht hinter ihnen. Es ist eher so, als wolle Vernon andeuten, dass nur das Gefühl die Wahrheit bieten kann. In „Naeem“ singt er: „Tell them I’ll be passing on/Tell them we’re young mastodons“, wobei er seine Worte in der zweiten Zeile so lange verschleppt, bis man fast hören kann, wie er sich verschluckt. Wie all die besten Momente in seinem Katalog ist dies unerklärlich berührend.

i,i handelt oft von dem Versuch, sich wieder mit einer Idee des wahren Selbst zu verbinden, auch wenn man sich vorwärts bewegt. Vernon schreibt über Narben und verlorene Dinge: „You were young when you were given it“, singt er in „We“, eine Zeile, die von seiner Fähigkeit zeugt, mit ein paar einfachen Worten starke elegische Gefühle hervorzurufen. „Hey, Ma“, sofort einer der besten Songs im Bon Iver-Katalog, ist mitreißend und ausdrücklich sentimental. „Full time you talk your money up/While it’s living in a coal mine“, schmettert Vernon, aber seine Stimme ist zu erdig, um hasserfüllt zu klingen. Stattdessen ist es so, als würde er Absolution erteilen und versprechen, dass etwas so Einfaches wie ein Anruf bei deiner Mutter ausreicht, um Geiz oder Gezeter wiedergutzumachen.

Auf den ersten Blick ist die Trackliste von i,i genauso verwirrend wie das symbolträchtige 22, A Million. Beim Hören stellt man jedoch fest, dass viele davon wahrscheinlich Mondegreens und Homonyme sind, freche Anspielungen darauf, wie schwer es ist, Bon Ivers Texte zu verstehen. „Jelmore“ zum Beispiel ist ein Fragment dessen, wie es sich anhört, wenn Vernon singt: „Well angel morning sivanna“. Und der Titel des abschließenden „RABi“ stammt von dem Couplet „I could prophet/I could rob I, however“. Diese Worte bieten eine Fülle von Interpretationsmöglichkeiten, aber keine davon ist so verlockend wie ihr reiner Klang. Die Musik ist auch nicht so geheimnisvoll, wie die Titel der Lieder vermuten lassen. i,i ist von einer überwältigenden Ruhe und Annehmlichkeit geprägt, und „RABi“ ist einer der unbeschwertesten Songs des Albums. „Sonnenlicht tut gut, nicht wahr“, singt Vernon. Es gibt keine große Symbolik in dem Stück, keine Sehnsucht, keine einhüllenden Echos. Was auftaucht, ist ein Trost, den Vernon auf früheren Bon Iver-Veröffentlichungen vermisst hat. „I don’t have a leaving plan“, singt er, vielleicht weil er nirgendwo anders hingehen muss.

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